Gehen. Oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen
von Tomas Espedal
Das Buch hat einer unserer lieben und uns inspirierenden Kunden einem Freund geschenkt und es hat mich sehr neugierig gemacht, da ich bekennende Karl Ove Knausgård-Liebhaberin bin. Und was soll ich sagen… ich werde nun alle Espedal-Bücher lesen…
Reisebücher gibt es viele. Doch nur selten so eines, wie es Tomas Espedal geschrieben hat. In seinem Buch „Gehen“ verbindet er Roman und Autobiografie, Gesellschaftsreflexion und Reportage.
„ ´Das Gehen zeigt die Sehnsucht nach einem anderen Leben, die Sehnsucht nach dem Verschwinden, es heißt im Buch, „eines Tages zur Tür hinausgehen und nicht wiederkehren´. Die Hauptfigur des Buches (die in allen Werkten meist autobiografisch bei ihm angelegt ist) verlässt seine Frau und sein Kind und geht los. Sein Traum: Er will ein anderer werden. Dementsprechend sein Albtraum: Auf der Straße jenen Mann zu sehen, ´den du von allen am meisten fürchtest, du siehst dich selbst´.
Die Furcht ist berechtigt, denn dieses Selbst will ihn zerstören, Espedal steckt in einer tiefen Depression, die Ehe kriselt, er trinkt, er steckt in einer ´harten und ernsten Untergangsarbeit´. Als er losgeht, empfindet er zum ersten Mal so etwas Altmodisches wie Glück, durch das Gehen ´geht´ es ihm besser.
Der Weg von sich weg und zu sich selbst führt Espedals Alter Ego durch halb Europa. Leicht ist das Gepäck, doch dandyhaft gepflegt und 0utdoor-mäßig aufgerüstet das Outfit. Zuerst will die Strapaze des Gehens im heimatlichen Norwegen erprobt sein, dann weitet sich der Kreis nach Deutschland und Frankreich, schließlich nach Nordgriechenland und in die südliche Türkei. Mit der Erschöpfung stellt sich die Erhabenheit ein, unauffindbar, Ich-los zu sein: ´Du bist glücklich, weil du gehst.´ Aber da ist auch eine milde Not und Verzweiflung über die Endlosigkeit des Unterfangens und das mögliche Scheitern an sich selbst.
Espedal, lässt sich nicht von urbanen Reizen, sondern vom Gespräch mit den Größen der Kunst inspirieren. Ihm begegnen Rousseau, Giacometti, Satie, Rimbaud. Mit ihnen unterhält er sich über das Gehen.
Manchmal trifft er aber auch auf einen lebendigen Menschen, einen Bekannten aus Bergen zum Beispiel, der ihn gleich aus der Illusion, ein anderer zu sein, in die harte Wirklichkeit zurückholt: Ich´ ist eben doch kein anderer.
Dem Gehen bleibt er trotzdem treu, schlicht aus Selbsterhaltungstrieb. Bevor Espedal aus dem Haus ging, befand er sich in einer tiefen Depression, einer „harten und ernsten Untergangsarbeit“; nur das Gehen verheißt ihm so etwas wie Glück. Beim Rauchen und Trinken bleibt er, das Essen ist ihm nicht sehr wichtig, aber durch das Gehen geht´ es ihm besser.
Das Gehen ist eine Form der Reinigung, das Reisen ´macht uns jünger´.“
(Zitat: nzz.ch)
Espedals „Gehen“ ist ein romantisches Buch, in dem der alte Traum, ein neuer Mensch zu werden, immer spürbar und doch auch immer unerreichbar ist.
„Espedal sucht das wilde Leben, das für ihn gleichbedeutend mit einem poetischen Leben ist; er verschränkt reflexive, kritische und autobiografische Passagen mit epischen und reportagehaften. Dadurch entsteht ein offenes Kunstwerk, wie es Friedrich Schlegel vor gut 200 Jahren vorschwebte.“
(Zitat: literaturkritiker.de)
´Gehen ist ein wundervoll versponnener, lebenspraller Romanessay, der hilft, zur Besinnung zu kommen. Ein fließend schönes Reisetagebuch der besonderen Art.
(Zitat Stefan Berkholz, Deutschlandradio Kultur)
Mein Fazit:
Die Reise und Gedanken Espedals mögen zunächst eigenwillig und unkonventionell erscheinen, doch mit seiner glasklaren Sprache und seinen stets auftauchenden philosophischen Denkanstößen bringt er einen beim Lesen dazu, stets über sein eigenes Leben nachzudenken.
Ein faszinierendes Buch in vielerlei Hinsicht! Ich hatte beim Lesen und auch danach das Gefühl, es holt mich zurück zur Einfachheit des Lebens.
Für mich steht fest, dass ich all seine Bücher lesen werde.
Nur als kleine Randinfo… Espedal ist zugänglicher als Karl Ove Knausgård 😉
Manuela Dietzsch